Wir sind nun fast am Ende der Adria angekommen, allerdings noch auf der italienischen Küste - hier erstreckt sich die Küstenlinie etwa 1250 km vom Hafen von Triest bis zum Kap Otranto, das wir hier nicht mehr erreichen, weil wir schon vorher die Fähre von Brindisi nach Vlora nehmen. Genau dort aber, an der Bucht von Vlora endet die Adriaküste und beginnt die Albanische Riviera am Ionischen Meer.
Ein wenig nervös sind wir, die Fähre startet um 12 Uhr, 2 Stunden vorher muss man einchecken und sich am Terminal die Bordkarten holen. Die Fahrt von Ruvo di Puglia nach Brindisi dauert 1:45 Stunden, also knapp, aber gut bemessen. Zu gut, wie es scheint, denn wir holen uns die Bordkarten um Punkt 10:00 Uhr und warten dann. Um 11:30 Uhr lässt man uns aufs Schiff, hier heißt es wieder warten, ohne Begründung starten wir dann eineinhalb Stunden zu spät. Wir sitzen auf einer typischen alten Fähre, Messing, Samt, Teakholz, alles schon mehr als abgewohnt. Auf die Frage nach WLAN Kopfschütteln.
Nun also Albanien. Eine Erfahrung, auf die wir uns schon sehr gefreut haben, weil es unser ganzes Leben schon ein weißer Fleck auf unserer persönlichen Reiselandkarte war. Vor ein paar Monaten war ich erstmals hier in Tirana für ein Foto-Coaching von und mit der großartigen deutsch-albanischen Fotografin Jutta Benzenberg (siehe Blogeintrag vom 2. Mai dieses Jahres). Alle anderen Erfahrungen liegen weit zurück. Ich bin in den späten 70ern auf dem Weg nach Griechenland außen herumgefahren, weil eine Durchreise nicht möglich war, Verena ist mal in sicherem Abstand vorbeigesegelt bei einem Überstellungs-Törn. Weil sie mit ihrem Schiff der albanischen Küste zu nahe kamen, setzte das Militär einen Warnschuss vor den Bug.
In dieser Zeit war Albanien ein sozialistisch/kommunistisches Land, so etwas wie das Nordkorea von Europa. Von einer bizarren Diktatur beherrscht, völlig abgeschlossen und in rechthaberischem Trotz vom Rest der Welt getrennt. Dann starb 1985 der Langzeitdiktator Enver Hoxha und seit 1992 wird der gebirgige Kleinstaat von Demokraten regiert – und ist inzwischen Beitrittskandidat für die EU. Und doch ist die gefühlte Distanz zu diesem Land riesig.
Roger Willemsen schreibt in seinem Buch "Unterwegs": "Ja, die Länder im Osten, die oft besonders leidenschaftlich yon Europa träumten, sind vielfältiger und heller geworden. Die Albaner, vormals Skipetaren, waren eine Stammesgesellschaft, die Sprache und Geschichte zusammenhielt. Nach dem Diktator Enver Hoxha 1967 zum Sturm auf Bilder, Museen, Kirchen, Moscheen aufgerufen hatte, erst mit dem Warschauer Pakt, dann mit China brach und das Land völlig isolierte, entlud sich nach seinem Tod 1985 der Hass in Zerstörungswut. 1997 griffen die Europäer ein. Seither, so scheint es, wartet Albanien auf die Segnungen des Westens. Die Burg Skanderbeg in den Bergen hinter Tirana feiert den Feldherrn, der 1443 die Türken in die Flucht geschlagen hat. Der Tourismus, der ihn ehren soll, überschüttet den kargen Ort mit einer Andenkenflut ohne Abnehmer. Das Pathos der Stätte vermittelt sich nicht, und wenn man ans Meer fährt, findet man jeden Hügelzug vollgestellt mit Billboards. Sie sind die Vertreter der ankommenden Welt. Schau, sagt die Ware, so werde ich aussehen! Aber hinter den Plakaten ist keine Welt. Die Hotels stehen leer, der Küstenstreifen ist nur der Konjunktiv einer Cöte d' Azur, sagt aber dennoch, wie alles: Europa, wir warten!" Ein wunderbarer Text, wir werden sehen, ob er unseren persönlichen Erfahrungen standhält.
Wir sitzen auf der Fähre, gefangen für 6 Stunden und schauen aufs Meer.... Zeit, sich ein paar Gedanken über Albanien zu machen und ein wenig im Reiseführer nachzulesen.
Albanien ist eine raue Schönheit: atemberaubende Berglandschaften und Naturparks, kulturreiche Städte mit archäologischen Ausgrabungsstätten sowie ein ca. 360 Kilometer langer Küstenstreifen entlang der Adria und des Ionischen Meeres prägen das südosteuropäische Land. Albanien ist ein kleines Land auf der Balkanhalbinsel. Es grenzt im Norden an Montenegro und an den Kosovo, im Osten an Nordmazedonien, im Südosten und im Süden an Griechenland und im Westen an die Adria und das Ionische Meer. Heute ist Albanien Mitglied der NATO und der Vereinten Nationen. Es gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern Europas. Das albanische Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt liegt ganze 40 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Der monatliche Durchschnittslohn beträgt um die 400 Euro brutto.
Vor uns taucht am Horizont langsam Vlora auf. Palmen, Sand und Meer. Man weiss nicht, was heller strahlt in dieser lebhaften Hafenstadt und inoffiziellen Hauptstadt der albanischen Riviera: Kultur und Geschichte oder Strände und Uferpromenaden, die zur Sommerfrische einladen. Ebendort reihen sich gut besuchte Restaurants, Eisdielen, Hotels und Bars auf, ein wenig erinnert es uns Venice Beach. In der Hochsaison das Mallorca Albaniens, der Einfluss, den die Fähre von Brindisi aus Italien mitbrachte, ist unverkennbar. Es ist dunkel geworden, die Touristenmaschine beginnt zu glitzern und zu leuchten. Wir kämpfen uns durch das Zentrum in Vlora in einem beispiellosen Verkehrschaos, für 5 km zu unserm Hotel brauchen wir eine halbe Stunde. Es ist spät, es ist dunkel, wir haben Hunger, das Hotel-Restaurant hat noch offen, wir sitzen hoch über dem Meer und genießen Essen und Wein...
P.S.: Belohnt wurden wir für all die strapaziösen Wartezeiten mit einem unglaublichen Sonnenuntergang, kurz vor der Einfahrt in den Hafen Vloras ...
Kommentar schreiben