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Herbstreise in die Provence

Eine Hochzeitseinladung führt uns Anfang Oktober ins provenzalische Correns, ein Ort wie aus einem alten französischen Bilderbuch, weltvergessen und romantisch, aber davon später. Unser ID.Buzz ist prall gefüllt mit technischen Utensilien, Akkuleuchten, Beamer, Nebelmaschine, Leinwand, dazu noch meine gesamte Fotoausrüstung, ich bin Fotograf dieser Hochzeit. Knappe 1.100 km gilt es elektrisch zu bereisen, aber nicht in einem Stück, davon sind wir schon vor langer Zeit abgekommen, selbst mit dem Verbrenner haben wir diese Strecke geteilt. Das macht auch Sinn, denn es liegen wunderbare Orte zum Verweilen und Übernachten auf dieser Route: Brescia, Piacenza, und wenn man einen kleinen Umweg fährt, auch Cremona oder Bergamo. Alles Städte, die wir auf diese Weise schon kennenlernen durften, diesmal ist die Wahl auf Tortona gefallen.

 

Die 680 km nach Tortona bewältigen wir mit zwei Ladestopps, der erste am Brenner, der zweite in Affi, jeweils eine knappe halbe Stunde. In Tortona selbst haben wir ein Hotel mit Lademöglichkeit gewählt, naja, so etwas Ähnliches, mehr eine optisch gepimpte 220er-Steckdose, eine, die endlich mal eine richtige Wallbox sein will, auch wenn sie nur 3,7 kWh abgeben kann. Was solls, die Location samt Vermieterin des "Casa della Seteria Sironi" erweist sich als Glücksgriff. Mitten im Zentrum, wieder einmal ist das Tor in den Hof die größte Herausforderung für unseren Buzz. Aber einmal drin, Tor geschlossen und sicher, angesteckt an die gepimpte Steckdose, ist alles gut. Das Haus selbst ist eine Villa, eine historische Residenz, die ihre Wurzeln in der Welt der alten Seidenmanufaktur hat.

Casa della Seteria Sironi

Wenn man das Haus betritt, taucht man in ein luxuriöses Privathaus ein, das im Laufe der Jahrzehnte zu einem offenen Wohnzimmer für die Stadt und die Welt geworden ist. Mit dem Kauf dieser Räume im späten neunzehnten Jahrhundert begann Francesco Sironi eine lange und spannende Geschichte, die dieses in jeder Ecke erzählt. Die alte Residenz, die die Familie Sironi in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zusammen mit der Seiden-Spinnerei kaufte, um ein Garnproduktionsgeschäft zu gründen, wurde 2017 renoviert und wird seither als Pension mit 6 Zimmern und einem Appartement betrieben. Alle Wohnräume der ehemaligen Besitzer sind wie die Zimmer liebevoll renoviert, für das Frühstück sucht sich jeder Gast sein eigenes Zimmer aus. Nach dem Frühstück verlassen wir diesen schönen Ort, unser ID.Buzz ist in den 16 Stunden seines Aufenthalts von 37% auf 99% Batterie-Kapazität hochgeschnellt.

Tortona

Wer typische italienische Stadtatmosphäre genießen möchte und nicht auf der Jagd nach touristischen Höhepunkten ist, findet in Tortona seinen Ort zum Seele baumeln lassen. Tortona liegt mit knapp 27.000 Einwohnern in der Provinz Alessandria im Piemont am rechten Ufer des Flusses Scrivia. Tortona ist die Hauptstadt einer Region, die als Colli Tortonesi bekannt ist und sich von der Stadt bis zur Grenze zu Ligurien erstreckt. Die Gegend ist nicht nur wegen ihrer Schönheit auch als Kleine Toskana bekannt, sie steht auch für die Vielfalt der Produkte und für die intensive Weinproduktion, darunter Barbera, Dolcetto, Moscato und Timorasso, die autochthonen Weine der Region, deren Ursprung bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Trüffel sind eine weitere wichtige Frucht dieses Landes und die Colli Tortonesi sind der einzige Ort im Piemont, der drei Trüffelsorten hat: Weiße Trüffel, Schwarze Trüffel und Scorzone.

Die Kulinarik der Colli Tortonesi

Kaum angekommen, findet uns eine kleine Enoteca, in der wir den ersten Timorasso  Dhertona verkosten, eine autochone Weissweinsorte vom Weingut "La Colombera" in Vho, einem Ortsteil von Tortona. Der Derthona ist ein Timorasso, bei dem die Weintrauben aus verschiedenen Weinbergen stammen, die aber vorwiegend hellen und dunklen Lehmboden aufweisen. Ein toller Wein!

Der Hunger treibt uns in das "Ristorante Cavallino", ein Feinschmeckerrestaurant in der ehemaligen Remise des angrenzenden Hotels gleichen Namens, wo früher die Kutschen geparkt haben. Allein die Brotauswahl, die zu Beginn des Menüs auf den Tisch kommt, ist bemerkenswert. Neben vielen Weinen aus der Gegend - darunter natürlich auch viele Timorasso - gibt es auch eine große Auswahl an tollen Weinen. Natürlich liegt hier der Schwerpunkt auf dem Piemont. Wir folgen der Empfehlung von Guiseppe, dem Hausherrn und trinken eine Flasche Barbera, genauer gesagt den "Primo" vom Bio-Weingut "Canevaro Luca". Ein Riserva, geerntet in einem einzigen 60 Jahre alten Weinberg und nur in den besten Jahren. Er wird 36 Monate lang in Barriques aus französischer Eiche ausgebaut. Was soll ich sagen: vollmundig, strukturiert, mit aromatischen Noten von Gewürzen, Leder und Früchten, stolze 15%. Er passt hervorragend zum Steinpilz-Risotto und dem Chateaubriand "Fassona" vom Piemonteser Rind - besonders zart und mild im Geschmack, eine Fleischdelikatesse, die sich zu entdecken lohnt. Zudem ist es das Cholesterin ärmste Rindfleisch. „Auswahl des Rohstoffs“ ist der kategorische Imperativ dieser Gastronomen, die eine frische und traditionelle Küche in einer rustikalen, aber eleganten Umgebung anbieten. Eine Entdeckung - nicht nur von uns, das Cavallino ist auch im Michelin-Guide zu finden...

Tortona und die Kunst

Aber: Es gibt keine Reise ohne einen Blick auf die Kunst. Die Gegend um Tortona hat ein paar berühmte Söhne und Töchter, einen möchte ich herausheben, den Maler Pellizza da Volpedo (* 28.7.1868 in Volpedo; † 14.6.1907). Er war einer der größten neuzeitlichen Maler, ein Schüler der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand, wo heute sein Gemälde "Der lebende Strom" in der zugehörigen Pinakothek Brera ausgestellt ist. Als ein Vertreter des italienischen Realismus malte er vor allem sozial interessierende Themen. Sein bekanntestes Werk "Il quarto Stato", entstand in den Jahren 1898 bis 1901 in seinem Atelier in Volpedo. Nach dem frühen Tod seiner Frau beging der Künstler mit 39 Jahren Selbstmord. Seine Bilder sind im Museum in Volpedo, dem Geburtshaus Pellizzas, im didaktischen Museum in Volpedo im Palazzo del Torraglio, in Tortona in dem mittelalterlichen Palzzetto neben dem Dom sowie in der Pinakothek Brera Mailand zu sehen. In den Hügeln um Volpedo und Monleale sind Staffeleien aufgestellt, um die Wege des Meisters nachvollziehen zu können.

Italienische Riviera Panoramastraße

400 km liegen vor uns, ein Teil noch dazu auf einer der schönsten Autobahnabschnitte Italiens, von Genua bis Ventimiglia. Die "Italienische Riviera Panoramastraße" startet in Genua und endet in Ventimiglia. Die Route: Genua - Savona - Noli - Albenga - Alassio - Imperia - San Remo - Bordighera - Ventimiglia. Jeder dieser Orte hat seine eigenen Attraktionen, wie beispielsweise die malerischen Strände von Alassio, die bezaubernden Landschaften von Noli und die vielen Sehenswürdigkeiten von San Remo. Die Gesamtdistanz beträgt 161km und verläuft entlang der Küste parallel zur Autobahn. Das ist das Stichwort: Leider werden wir die Autobahn nicht verlassen können, große Teile der Hochzeitsgesellschaft sind schon in Correns eingetroffen und wir müssen schleunigst dorthin. Sehnsüchtig blicken wir auf der Höhe von Bordighera noch in Richtung Küste: Berge und Meer liegen dort dicht beieinander, an diesem sonnenverwöhnten Küstenstreifen, wo Italien auf Frankreich trifft, gesäumt von pastellfarbenen Jugendstilvillen in Gärten mit Palmen und exotischen Blumen. Irgendwann werden wir uns die Zeit nehmen und diesen Abschnitt ganz langsam bereisen.

Wir passieren die Grenze zu Frankreich - und schon ist alles anders, jedenfalls die E-Mobilität betreffend. Was wir schon vor zwei Monaten im Bretagne-Blog wohlwollend festgestellt haben, bestätigt sich hier in Südfrankreich. Selbstverständlich laden auf jeder Autobahn-Raststation, herauszuheben ist das Engagement von TOTAL: Ausreichend Schnelllader, überdacht, mit Equipment zum Scheibenreinigen und - man glaubt es nicht - auch Staubsauger sind bei drei von den Stationen. Das Auto lädt, während wir einen Bio-Burger verzehren, dann gehts weiter zum eigentlichen Ziel: Correns.

Correns

Bei unseren ersten Reisen nach Correns stand am Ortseingang eine große Tafel: "1er Village BIO de France", erstes Biodorf Frankreichs, das im Jahr 1997 ausgerufen wurde. Eigentlich eine kleine Sensation. Dennoch kennt Correns kaum jemand oder weiß gar von der lokalen Agrarrevolte. Man ist hier nicht scharf auf Rummel, man war immer für sich. Das bedingt die geografische Lage: Rundherum ist die in einem Talkessel liegende kleine Siedlung umschlossen von bewaldeten Bergen, in die sich der Fluss Argens, der Silberne, gegraben hat. Eine eigene, ziemlich unnahbare Welt. 

Ein Ort, wie aus der Zeit gefallen, tief im Herzen der Provence, sattgrün und reich an Wasser, eine scheinbar intakte Natur ringsumher. Das ist die "Provence Verte", die sich zwischen den Gorges du Verdon im Norden, dem Massif des Maures im Südosten und dem Walfischbuckel der Sainte-Baume im Südwesten erstreckt. Seit jeher ein gutes Klima, gerade für den Weinbau, aber durch die Klimaveränderungen der letzten Jahre spielt das Wetter auch hier immer wieder verrückt. 

Seit je hat man in Correns kaum etwas anderes gemacht als Wein angebaut. Inzwischen wird auf etwa 95 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche von Correns, etwa 300 Hektaren, nur noch biologisch produziert. Das Konzept ging auf: Über 200 Leute sind zugezogen – enorm viel für ein Dorf mit heute knapp 900 EinwohnerInnen. Das Rathaus wurde modellhaft unter Bioaspekten renoviert, die Wände wie früher wieder mit Naturfarben verputzt und mit großen Lettern «Republique Française – Liberté, Egalité, Fraternité» auf die Fassade geschrieben. In der Schulkantine bekommen die Kinder Biogericht, die neue Heizung funktioniert mit Holz. 

Es war ein Mann, dem dieses Dorf so vieles zu verdanken hat: Michaël Latz. Dieser Agraringenieur, der zum innovativen Winzer und Unternehmer wurde, machte Correns, dessen Bürgermeister er 25 Jahre lang war, zum ersten Bio-Dorf Frankreichs. Schon früh engagiert in der Ökologie, ist Michaël Latz ein Republikaner in der Seele, seinem Wort treu und aufmerksam gegenüber anderen. Für ihn „kann man mit politischem Willen die Welt verändern. Das hat er getan, aber mit partizipativer Demokratie. Sein Credo: "Die intakte Natur ist das Kapital von Correns und der gesamten Provence Verte." Michaël Latz, Nachfahre deutscher Einwanderer, bewirtschaftet als Winzer die "Domaine des Aspras", seit langem schon völlig biologisch. Wir treffen den charismatischen und immer noch vor Dynamik sprühenden Michaël Latz in seinem 2022 eröffneten Wein- und Verkostungskeller. Eine beeindruckende Persönlichkeit, die es geschafft hat, Bio zu einem echten Lebensstil für ein ganzes Dorf zu verwandeln. 

 

Die Corrensois haben sogar den Verein für partizipative Demokratie Correns 21 gegründet, der es ermöglichte, gemeinsame Gärten zu starten, ein Stromsparsystem für die öffentliche Beleuchtung zu installieren, eine Studie über das Interesse von Bio an der lokalen Biodiversität zu starten, ein Buch der von den Ältesten gesammelten Dorfrezepte herauszugeben, Konferenzen und Seminare zum ökologischen Übergang zu organisieren. Die vollständig mit Bio-Label versehene Gemeinde hat sich auch für erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung eingesetzt: Sonnenkollektoren, Farben mit natürlichen Farbstoffen im Rathaus, Heizung der Gemeinderäume durch Aufwertung von Holzabfällen, aber auch Pädagogik in der Kantine für Kindern jeden Tag zu erklären, was sie essen, und sie dazu zu bewegen, ihren Abfall zu wiegen, um Verschwendung zu reduzieren, ihre Umgebung zu kennen. Die Schule wurde übrigens von der Nationalen Bildung für ihr pädagogisches Umweltprogramm als „Öko-Schule“ ausgezeichnet. Klein, fein, scheinbar unscheinbar und doch so einen Riesenpotenzial, ein Vorbild viel viele und größere Städte und Gemeinden zu sein.

La Maison Hilarion

Gewohnt gaben wir während unseres Aufenthaltes in Correns im "La Maison Hilarion". Es liegt mitten im alten Dorf, das vom Fluss Argens begrenzt wird. Das Haus hat vier Zimmer, die vermietet werden, alle liebevoll von den Besitzern Laurence und Laurent eingerichtet, mit vielen kleinen Details, teils auch aus afrikanischer Kunst - das ist eine Leidenschaft, der die beiden nachgehen. Wir haben in diesen Tagen dort unser temporäres Zuhause gefunden - man kann diese zauberhafte Pension nur weiterempfehlen. Für uns war das Neuland, weil wir sonst bei unseren Freunden in der "Domaine MontDoux" wohnen, ein zauberhaftes Anwesen, in dem man ein kleines Haus mit zwei Schlafzimmern und einem eigenen Pool mieten kann.

Bilanz und Fazit

2.334 elektrische Kilometer haben wir in fünf Tagen zurückgelegt, davon 2.064 auf Autobahnen und Schnellstraßen. 513kWh haben wir dabei verbraucht, das ist ungefähr die Hälfte der Energie, die wir zuhause mit unserer Photovoltaik-Anlage im Oktober erzeugen werden und immer noch weniger als das, was wir als Überschuss-Strom ins Netz einspeisen. Also wieder eine CO2-neutrale Reise. Ein gutes Gefühl, eine fantastische Bilanz.

 

Es war eine anstrengende Reise, weil wir nur wenig Zeit hatten, aber dennoch: In dieser wunderschönen Umgebung eine Hochzeit mitfeiern zu dürfen, ist ein Geschenk und Privileg. Zudem haben wir die freien Zeiten ausgiebig genutzt mit Ausflügen in die Umgebung von Correns, nach Aups, dem Trüffel-Zentrum der Provence, nach Carcès, wo wir zufällig im Café einen alten Freund trafen, einem schottischen Maler, der dort sein Atelier hat, Frank Docherty, auch der Maler Dominique Rousserie wohnt in Carcès, ihn trafen wir bei der Hochzeitsparty. Correns ist ein idealer Ort, um auszuspannen, die Seele baumeln zu lassen, zu wandern und um Ausflüge in die nähere Umgebung zu machen, die allemal interessant ist. 

 

Wir haben eine kleine Liste an Ausflugszielen als Download-PDF bereitgestellt. Keines der Ziele ist viel weiter als eine Stunde von Correns entfernt, es lohnt sich! Wenn man nicht mehr ins Auto steigen will, kann man ab Correns viele Wander- und Mountainbike-Routen entdecken.

 

Download
Ausflugsziele rund um Correns
Ausflugsziele.pdf
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Weiterführende Links

Domaine Montdoux

La Maison Hilarion

Casa della Seteria Sironi


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