(LEO) Auf den letzten beiden Etappen unserer Reise war vor allem die Straße unser vorherrschender Aufenthaltsraum. Fahren/Laden/Fahren/Laden… Kleiner Zwischenbericht dazu: Hohe Dichte an Autobahnstationen, bei jeder gibt es Lademöglichkeiten, auch viele IONITY, wir haben eine E-VADEA angesteuert, 300kW versprochen, die Hälfte der Ladesäulen kaputt, die einzige 150kW haben wir ergattert (wir waren die einzigen), die lud aber relativ flott.
Unser letztes Zwischenziel war Mulhouse (Mülhausen) im Elsass, oder "Alsace", wie es französisch heisst. Die knapp 110.000 Einwohner:innen umfassende Stadt liegt ganz im Nordosten am Dreiländereck Frankreich – Schweiz – Deutschland. Ein gewisser deutscher oder deutschsprachiger Einfluss lässt sich nicht abstreiten, zumal Mülhausen von 1870 bis 1910 Teil des deutschen Kaiserreichs war. Diese Einflüsse sind in deutschen Ortsnamen oder in der zweisprachigen Beschilderung von Straßen deutlich erkennbar. Wie nicht anders zu erwarten, hat ein Mühlrad der Stadt seinen Namen gegeben. Der "Place de la Réunion" (Platz der Wiedervereinigung) bildet das Zentrum der kleinen Altstadt. Die Top-Sehenswürdigkeit ist - wie sollte es anders sein - der "Temple du Saint-Etienne", die Stephanskirche.
Während Mulhouse früher vor allem von Textilindustrie, Maschinenbau und Mechanik geprägt war, hat sie inzwischen den Strukturwandel hin zur jungen, kreativen, offenen und unaufgeregten Student:innenstadt gemeistert. Die Jungen studieren an der Universität von Mülhausen sowie an der Hochschule für Kunst und Design, was vielleicht ganz gut erklärt, warum es in Mulhouse viel Kunst, Kultur und Kulinarik zu entdecken gibt. Darunter auch viel Streetart, die ich gerne erkundet hätte, leider war das Wetter nicht gnädig mit uns. Nach 14 Tagen sonnendominiertem Wetter hatte es sich nun dauerhaft eingeregnet, dementsprechend kurz und knapp fiel unsere Besichtigungstour aus.
Als mögliches Regenprogramm hätte sich noch das Schlumpf-Museum angeboten, aber auch das ließen wir links liegen. Damit sind übrigens nicht die blauen Comic-Figuren gemeint, sondern die Gebrüder Schlumpf, Textilfabrikanten und Autosammler. Aus der Sammlung wurde 1977 nach dem Konkurs der Textilfabrik die "Cité de l’Automobile", in der sich heute 500 zum Teil außergewöhnliche Ausstellungsstücke befinden, die meisten darunter Bugattis. Damals hatte der französische Staat die Autosammlung übernommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ich war vor vielen Jahren schon dort - für Auto-Enthusiasten absolut sehenswert, für uns nur bedingt, denn leider ist da nichts Elektrisches dabei. Also flüchteten wir vor dem Regen in eine Bar.
Davor machten wir allerdings noch eine andere elektrische Entdeckung in einem Ladepark im Zentrum von Mulhouse. Nachdem uns 14 Tage kein einziger ID.Buzz begegnet war, stand da auf einmal einer. Orange/weiss wie unserer, französisches Kennzeichen. Fast ein Schock, hatten wir uns doch an die Exklusivität der uns und dem Buzz geschenkten Lächeln, Daumen hoch und anderer Sympathiebekundungen gewohnt.
Das Ende unserer Reise sollte aber noch eine besondere Überraschung für uns bereithalten - unsere Unterkunft: "Peonia at home", eine Villa aus 1862, nahe am Zentrum gelegen, ursprünglich errichtet von den Textilfabrikanten Max Dreyfus und Rébecca Lévy, deren Sohn eine wichtige Rolle in der Entwicklung der elsässischen Kultur spielen sollte. Lucien Dreyfus setzte sich für das "Dialekttheater von morgen" ein und für die Förderung und Erhaltung des elsässischen Dialekts. 1983 wurde der "Prix Lucien Dreyfus" zur Entdeckung und Förderung junger Dialektautoren ins Leben gerufen.
In dieser Villa, in der Lucien Dreyfus aufgewachsen ist, verbrachten wir also die letzte Nacht unseres Roadtrips. Die heutigen Besitzer Andréa und Antonio d’Onghia sind Architekten und haben alles klassisch modern und zeitlos eingerichtet. So finden sich Möbel von Le Corbusier, Charles Eames oder Eileen Gray. Im Flur hängen entweder Gemälde des Hausherren, der auch Malerei studiert hat, oder es gibt Ausstellungen regionaler Künstler. Herzstück des Hauses ist die Eichentreppe aus dem Jahr 1920 in der Eingangshalle, entworfen vom berühmten Jugendstil-Designer Louis Majorelle. Das Haus hat mehrere Funktionen - zum einen Heim und Arbeitsstätte der Architektenfamilie (auch der Sohne Jean-Quentin D'onghia arbeitet als solcher) und 4-Stern-Hotel kleinsten Ausmaßes, gerad mal 4 Zimmer bzw. Suiten werden vermietet. Für das Frühstück, bei dem alle Gäste an einem Tisch Platz nehmen, sorgt der Hausherr selbst. Ein aussergewöhnliches und sehr persönliches Erlebnis…
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